Christine Winkler

Christine Winklers Minikosmos als Beitrag zum globalen Bilderatlas

Dass die Fotografie sowohl auf ihrer medialen als auch auf der künstlerischen Ebene dem Objekt als einem Anwesenden, schlicht und einfach gesagt, dem Motiv, verpflichtet ist, bestimmt ihre Geschichte wie Gegenwart. Was die Theorie Index als Bezugsfeld zwischen Gegenständen, Szenen und ihrem Abbild nennt, trifft also nicht ausschließlich, aber besonders auf das Lichtbild zu. Es handelt sich dabei nicht um eine komplex gezimmerte, nachgereichte Theorie, vielmehr liefert die Praxis in jeder Hinsicht schlagende Beweise für solche medientheoretische Überlegungen: Selbst dann, wenn experimentelle und die Mechanismen der fotografischen Apparatur präzise reflektierende Ansätze im Spiel sind.

Welche Auswirkungen auf Erfassung und Erfahrung von Wirklichkeit, auf eine heute in vielen wichtigen Positionen bewußt, ja sogar herausfordernd artikulierte Bewegung der KünstlerInnen im realen Raum besitzt die eingangs erwähnte Beziehung zu einem Referenten in der Außenwelt? Gegenüber den klassischen Bildkünsten Malerei und Grafik kristallisiert sich – hier nur in verkürzter Form darstellbar – sowohl in der Dokumentation als auch in der Inszenierung, um zwei extreme Pole fotografischer Methodik zu nennen, der Faktor der Orientierung als ein zentraler heraus. Ob mit mehr oder weniger deutlichen Verweisen zu geläufigen Motiven spielt dabei keine Rolle.

In ihrer neuesten Fotoarbeit scheint Christine Winkler so nah am traditionellen Festhalten von Realität zu sein, dass sich – zunächst – beinahe die Frage nach dem „Grenzwert“ zwischen Ablichtung und gestalterischer Umsetzung nicht stellt. Doch diese Fotografie erhellt rasch eine neue Welt. Sie führt bunte Räume und Tableaus vor Augen, in und auf denen die Materialien und Farben eine scheinbar regellose Verbindung eingehen, die Zuordnung der Objekte aus dem Blickwinkel des alltagsästhetisierten Betrachters keinem vernünftigen Schema folgt. Auch gewohnte Skalierungen und Perspektiven beginnen zu verschwimmen: Die durchaus identifizierbaren Gegenstände repräsentieren nicht eine spielerische kindliche Wirklichkeit, sie verkörpern die hochgestellte Potenz eines Weltbildes, das sich anderswo in repetierenden Vorstellungsbildern der Unbefangenheit, der grenzenlosen Phantasie nur bruchstückhaft oder schematisch ablagert. Gezielte Reduktionen auf das Wesentliche treten ebenso in Erscheinung wie das Bedürfnis nach Vollständigkeit im Auftritt der Protagonisten. Die Fülle und die Leere, das Arrangement aus Vorgefertigtem und die Aneignung der Realität durch das selbst Gestaltete finden sich im realen und im abbildenden Blickwechsel wieder. In der gewohnten räumlichen Perspektive und im abwechselnd flächigen Aufklappen dreidimensionaler Anordnungen folgt die Kamera in kongenialer Weise dem vielfältigen Angebot im Innen- und Außenraum. Alltägliche Stereotypen wie Gemeinschaft und Kommunikation, wie Naturerfahrung oder geordnetes In-Szene-Setzen entbehren jeglicher lächelnden Nachsicht: Sie zwingen uns, den kraftvollen farbigen Akkorden, den poesievollen Arrangements, der Selbstverständlichkeit von verschobenen Raum- und Größendimensionen mit gespannter Aufmerksamkeit zu folgen. Tupperware und Pflanzenbeete, Sandkuchen mit Oliven und Plastikpalmen , ein mit Erde, Blüten und Muscheln gefüllter Malkasten, bunte Schleifen auf einem Orientteppich, magische Kreise aus Steinen und Nadelholzzapfen, ein Stofftier mit einem Eisbecher-Dekorationsschirmchen, ein Servierbrett mit bunt gefülltem Beilagengeschirr: All das erweist sich in dieser Zusammenstellung nicht bloß als Kompendium von materialisierten Mädchenträumen oder tastender Aneignung von erwachendem Wirklichkeitssinn. Christine Winkler setzt die Foto-grafie als Instrumentarium einer veränderten, einer erweiterten, einer mehrdeutigen Welterfahrung ein. Gerade deshalb, weil die Objekte, weil der ins Spiel gebrachte Index so nahe an den alltäglichen Erfahrungsbereich vergleichbarer Oberflächen heran reichen, ist die Wirksamkeit einer ausgeprägt eingeführten Schnittstelle evident. An ihr gehört der Erfindungsreichtum nicht einer anderen Welt an, sondern einer scheinbar in allen Einzelheiten bekannten. Von dieser Fotoserie aus verschiebt, verändert und präzisiert sich Objekt- und Raumerfahrung, stärkt sich die Überzeugungskraft wie die Notwendigkeit, solchen Verschiebun-gen eine reale fotografische Sicht zu verleihen. Es sind die Strategien der Auswahl von Bildern, die in erster Linie den künstlerischen Akt setzen. Sind sie attraktiv und interessant, weil sie außergewöhnlich sind und/oder alternative Seh- und Erfahrungsmodelle anbieten? In jedem Fall folgen sie einem neuen Weltbild-Entwurf, dokumentieren konkret wie paradigmatisch dessen sichtbare Ergebnisse. Hand in Hand damit erweitern sie den globalen Bilderatlas durch ein Kapitel, das nicht zögert, den äußerlich vorgefertigten Bildmustern diesen innewohnende hinzuzufügen, um damit nicht einen schicken, vielmehr einen folgenreichen Blickwechsel in der Dokumentation zu vollziehen. In dieser Fokussierung steht nicht in erster Linie eine fotografische Wahl unter den Aspekten der Welt im Zentrum: Die motivierte Kamera verbildlicht hier als Instrument eine der möglichen, aus einem Minikosmos freigelegten authentischen Neuformatierungen von Lebens- und Erfahrungsraum. work»

 

Christine Winkler’s Minikosmos as a Contribution to the global Atlas of Images translated by Marion Daneshmayeh

Photography is under obligation both on a medial and an artistic level towards the object, that is, the motif, as something present which defines its past and present. What theory defines as a reference layer between objects, scenes and their depiction with the term “index” applies especially, but not exclusively to the photograph. It is not a case of a complexly constructed theory, more often, practical application delivers striking proof in every aspect of media theory: Even then, when experimental and mechanics aspects of the photographic apparatus with their precisely reflecting approaches are brought into the equation.

What effect does the relationship to the above-mentioned reference to the outside world have on todays articulated, challenging movement of artists in the real world? In comparison to the classic visual arts of painting and printing, the factor orientation – described here in abbreviated form – becomes apparent as a central theme, both in the documentation and in staging, to name two extreme ends of photographic method. Whether this is achieved by more or less clear references to known motifs is of no importance.

Christine Winkler appears close to traditionally capturing reality with her latest works of photography, that, at first glance, the question regarding the threshold between photography and artistic implementation does not arise. This photography, however, quickly reveals a new world. It depicts spaces and surfaces, in and on which materials and colours form bonds, seemingly ungoverned by rules, and from the viewpoint of ordinary aesthetics, follows no apparent scheme. Familiar scales and perspectives also begin to blur: The easily identifiable objects do not represent a playful child-like reality, they represent the idealized potential of a world order, which is collected somewhere else in the form of fragments or as repeated blueprint images of a vision of carefree, infinite imagination. The protagonists’ appearance includes both reduction to basics as well as the desire to be whole. Abundance and emptiness, the arrangement of pre-fabricated things and the appropriation of reality to things individually created find themselves again in the real and depictive change of viewpoint. The camera follows the multiple offerings in internal as well as external spaces in both the usual special perspective as well as in unfolding three-dimensional constructs. Everyday stereotypes such as community and communication, such as experiencing of nature or structured realization lack smiling indulgence: They force us to follow the powerful colourful accords, the poetic arrangements, the obviousness of shifted spatial and size-dimensions with the highest degree of interest. Tupperware and flowerbeds, sand cakes with olives and plastic palm trees, a paint box filled with earth, flowers and shells, colourful ribbons on an oriental carpet, magic circles made of stones and pine cones, a soft toy with a little decorative umbrella belonging to an ice cream, a serving platter with colourfully filled side-dishes: This crystallizes not just as a compendium of materialized girl’s dreams but a tactile appropriation to an awakening sense of reality. Christine Winkler utilizes photography as an instrument of a changed, expandable and ambiguous world experience. Especially because the objects brought into the fray are so close to the surface of everyday experience the effectiveness of a distinctly introduced interface becomes evident. At this point, the power of invention does not belong to another world, but rather to one which is apparently known in all its facets. Extending from this photo-series, spatial and object experience is shifted, changed and made more precise, the power to convince is strengthened, as is the necessity to bestow a real photographic view on such shifts. The strategy of picture selection primarily sets the artistic act. Are they attractive and interesting because they are extraordinary and/or offer alternative modes of seeing and experiencing? Whatever the case, they definitely follow a new world order-design, concretely documenting the paradigm of the visual results. Hand-in-hand they expand the global image Atlas with a chapter that does not hesitate to add internal aspects to exterior prefabricated image patterns, with which to accomplish not a trendy but rather a momentous change of view in the documentation. In this focus, the photographic choice is not at the centre: The motivated camera represents one instrument of one of the possible authentic reformatting of the spaces of life and experience revealed in a microcosm.  work»